BVerwG zu IG Farben: Immer noch offene Vermögensfragen

Bundesverwaltungsgericht will sogenannte Durchgriffsansprüche „näher präzisieren“

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig veröffentlichte am 15. Februar mehrere Beschlüsse, mit denen Revisionen gegen eine Reihe von Urteilen des Verwaltungsgerichts Berlin zugelassen wurden (Beschlüsse vom 19. Januar 2017 – 8 B 33/16 – und 8 B 48/16 – sowie vom 23. Januar 2017 – 8 B 42/16, 8 B 43/16, 8 B 44/16 -). In den Entscheidungen geht es um Entschädigungsansprüche von NS-Verfolgten wegen des Verlusts von Beteiligungen u.a. an der IG Farben AG. Damit geht die Klärung einer großen Gruppe unerledigter Wiedergutmachungsfragen in eine weitere Runde – 25 Jahre nach dem Ende der für diese Ansprüche geltenden Anmeldefrist.

In genannten Fällen hatten Juden in der NS-Zeit unter Zwang u.a. Aktien der IG Farben AG verkauft.  Aus diesem Grund hatte die Jewish Claims Conference (JCC) anstelle der Geschädigten bis Ende 1992 Ansprüche nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) geltend gemacht.  Erst über 20 Jahre später, im Laufe der Jahre 2013 bis 2015, entschied das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) über die Anträge und lehnte sie ab. Das Verwaltungsgericht Berlin hob die Ablehungen in Urteilen aus den Jahren den Jahren 2015 bis 2016 auf und sprach der JCC Ansprüche nach dem VermG zu. Es hat die Revision durch das Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen (s. etwa Urteil vom 14. Januar 2016 – 29 K 326/14, ). Die Rechtslage sei eindeutig. Anders als das Verwaltungsgericht Berlin meinte das Bundesverwaltungsgericht nun im Beschluss vom 19. Januar 2017 – 8B 33/16, die Rechtsfragen, um die es in den IG-Farben-Fällen geht, hätten grundsätzliche Bedeutung und könnten im nun zugelassenen Revisionsverfahren voraussichtlich „näher präzisiert“ werden. Ob das gelingt, wird sich in rund einem Jahr zeigen, wenn das Revisionsurteil wohl ergehen wird. Die entsprechende Veröffentlichung ist zwischenzeitlich wieder vom Netz genommen worden, vermutlich wegen der Korrektur einen Schreibfehlers.

Die Fälle drehen sich um sogenannte Durchgriffsansprüche nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG. Nach der Vorschrift können NS-Verfolgte, die Beteiligungen an einer Gesellschaft verloren haben, unter bestimmten Umständen auf Grundstücke der Gesellschaft zugreifen, wenn sie in der ehemaligen DDR und Ost-Berlin liegen. Die NS-Verfolgten sind also nicht auf die Rückgabe der meist wertlos gewordenen, damals verlorenen Beteiligungen beschränkt. Die IG Farben AG, in den 30er Jahren eine der wertvollsten Gesellschaften der Welt, hatte Tausende von Grundstücken, für die die JCC nun Entschädigung verlangt.

Die Durchgriffsansprüche waren seit ihrer Einführung 1997 immer wieder Gegenstand komplizierter juristischer Auseinandersetzungen. Die Zulassung der Revision ist für den Bund wichtig, weil er das BADV bald schließen und die offenen Vermögensfragen aus der NS-Zeit erledigt wissen will. Sollte das BADV beim Bundesverwaltungsgericht endgültig Erfolg haben, könnte sich der Bund voraussichtlich eine Vielzahl komplexer und teurer Verfahren ersparen, nicht nur im Zusammenhang mit Verlusten von Aktien der IG Farben AG, sondern vieler anderer großer Aktiengesellschaften.

Die Begründungen der Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts deuten auf eine für den Bund günstige Kehrtwende des zuständigen 8. Senats hin. Im Revisionsverfahren untersucht werden soll nämlich die Frage, ob die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 VermG für den auf Halbsatz 2 der Vorschrift gestützten Anspruch von Bedeutung sind. In einer früheren Entscheidung (Urteil vom 8. März 2007 – 8 C 26/05 ) hatte das Bundesverwaltungsgericht diese Frage nicht geprüft und damit geringere Anforderungen an den Anspruch gestellt (Rechtsfolgenverweisung), als es sich nun andeutet. In den Zulassungsbeschlüssen wird auch angekündigt, dass der Sitz der IG Farben in Frankfurt am Main für die Ansprüche erheblich sein könnte. Auch hier deutet sich eine Abkehr von der früheren Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes an. In seinem bekannten Wertheim-Beschluss von 2005 (7 B 47/05) hatte der West-Sitz der Wertheim AG keine Rolle gespielt.